Der Vorstand, der am schlechtesten informierte Unternehmensteil

Fritz B. Simon schreibt in seinem Buch Gemeinsam sind wir blöd: Eine Führungskraft an der Spitze oder in diesem Bild: am Ende der Hierarchie – der letzte Entscheider – sollte sich darüber klar sein, das er der wahrscheinlich am schlechtesten informierte Mitarbeiter der Organisationslinie ist. Er ist der letzte Empfänger der Flüsterpost.

Die Mitarbeiter in einem Unternehmen neigen dazu, ihre Vorgesetzten gefiltert zu informieren, da sie die Reaktion in vorauseilendem Gehorsam antizipieren und entsprechend agieren. Schon deshalb forderte Konfuzius‚ den Minister zu entlassen, der nicht widerspricht‘.

Die menschliche Lähmschicht …

Die zweite Führungsebene unterhalb der obersten Führungsebene hat in der Literatur inzwischen den Namen ‚Lähmschicht‘ bekommen – möchte man es griffiger ausdrücken, könnte man auch den Namen Lehmschicht nehmen. Es läuft jede Menge Information in diese Schicht hinein, die Weitergabe erfolgt aber nur positiv selektiv.

Mitarbeiter auf dieser Ebene stehen in den Unternehmen in der Regel in einem starken Wettbewerb. Sie sind häufig die letzte operative Einheit und damit für die Fehler aller operativer Stufen darunter verantwortlich. Die Strategen darüber können keine Fehler machen, da sie ja nicht operativ tätig sind. Wer aber die falsche oder nur unvollständige Information erhält, kann nur zufällig die strategisch richtigen Entscheidungen treffen.

Die in der ‚Lähmschicht‘ angekommenen Mitarbeiter sind im Allgemeinen hoch leistungsmotiviert und haben auch ein gesundes Maß an persönlichen Machtmotiven. Das heißt hier treffen erfolgsverwöhnte Kollegen aufeinander, die sich gefühlt tagtäglich um die knappen Positionen im Vorstand bewerben. Schlechte Nachrichten an die direkten Vorgesetzten zu geben – die letzten Entscheider bei einer Bewerbung – ist auf Basis dieser Motivlage nachvollziehbar nicht zu empfehlen. Damit gilt als erste Regel: Bitte keine Fehler, denn die könnten zu schlechten Nachrichten führen. Haben dann alle Beteiligten gelernt, dass Fehler nur dann passieren, wenn auch eine zu vertretende Entscheidung getroffen wird, werden konsequent Entscheidungen vermieden: Keine Entscheidung, keine Fehler, keine Angst!

… ein angstbedingter Konstruktionsfehler …

Diese persönliche Angstlage zieht sich über die gesamten Hierarchieebenen und findet ihren Höhepunkt auf der letzten Stufe zum Vorstand, hier wirkt der letzte häufig stärkste Filter mächtig: Nur so viel Entscheidung wie nötig und so wenig Fehler wie möglich, das ist auch eine Entscheidung – aber oft die Schlechteste.

Wie weit dies gehen kann, zeigt die Katastrophe um den Absturz der Columbia, bei der die Empfehlungen auf der Arbeitsebene der Ingenieure klar auf eine Vermeidung des Wiedereintritts der Raumfähre in nicht repariertem Zustand in die Erdatmosphäre hinwiesen. Die Gefahr, dass die Raumfähre verglühen würde, sei schlicht zu groß. Nachdem diese Information aber innerhalb der NASA vielfach managementgerecht aufbereitet wurde, war klar, dass das Risiko einer Katastrophe – wie sie dann eintrat – gering sei.

… mit Entscheidungshemmung und strategischem Fehlergenerator

Da wir Menschen lieber gute Nachrichten bekommen und darauf dann auch eher freundlich reagieren, führt im Umkehrschluss bei den Nachrichtenübermittlern zum beschriebenen deutlichen Fehlverhalten. Naheliegend und ganz im Sinne des Konfuzius wäre es somit, nur noch die Mitarbeiter zu loben, die eher kritische Nachrichten und Informationen liefern, denn nur diese Informationen können zu einer Überprüfung einer Sachlage führen, während positive Meldungen ja zwingend zur Beibehaltung einer Strategie führen, deren Richtigkeit dann niemand mehr in Frage stellen wird.

Das vielleicht bekannteste Beispiel aus der Politik stellt die Pleite an der Schweinebucht dar. Alle Berater von Kennedy dachten in die gleiche Richtung. Einen kritischen Geist gab es nicht, dafür war die Stimmung viel zu positiv – die Informationslage daher nicht vollständig, nur positiv selektiv ausgewählt. Kritik wäre einer Nestbeschmutzung gleichgekommen. In der Nachbetrachtung wurde auch diesen Beratern klar, dass die Aktion ein ungeheurer Fehler war. In der Entscheidungssituation lag aber kein Bedarf nach weiteren Fakten vor, da der Ausgang und die Informationslage klar und eindeutig schien.

Gerade die oberste Führungsebene sollte es sich nicht einfach machen. Je ruhiger die nächste Ebene, desto kritischer ist wahrscheinlich die Lage im Unternehmen. Die Auswahl von Stellvertreterpositionen sollte daher eher von der Suche nach einem mutigen unruhigen Geist geprägt sein, als von der Wahl des sympathischsten, erfolgreichsten Entscheidungsmitträgers der letzten Zeit. Je skeptischer die rechte Hand, desto unbequemer der Entscheidungsprozess, desto ausgereifter aber auch das Ergebnis.