Was soll ich tun?

Mitarbeiter überraschen ihre Führungskraft häufig durch nicht nachvollziehbare Äußerungen, die sie sich aus dem Unternehmensalltag heraus nicht erklären können. Die Antworten passen nicht in das gelebte Wertesystem der Führungskräfte und zerstören oft genug das Vertrauen in die Arbeitswilligkeit des Mitarbeiters.

In einer Bankfiliale sitzen in einem Sitzungsraum die Filialleiterin, die Marktbereichsleiterin und deren Trainer am Arbeitsplatz und führen ein intensives Gespräch. Plötzlich klopft es, eine Mitarbeiterin aus der Filiale öffnet die Tür und streckt nur ihren Kopf durch den Spalt.

Sie sagt: „Ein Kunde hat sich beschwert, vor dem Briefkasten stehen zwei Mülltonnen.

Was soll ich tun?!“

Nach einer kurzen Pause der Verblüffung antwortet ihr die Filialleiterin: „Ja, gehen Sie raus und stellen Sie sie weg!?“ Der Kopf verschwindet, die Tür wird geschlossen. Die Stimmung im Raum verändert sich. Alle drei sind betroffen von dieser Frage. „Es sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand, was man da tun kann!“ „Ich verstehe das gar nicht, die Kollegin ist sonst eigentlich ganz intelligent!“ „Könnte das was mit Ihrem Führungsverhalten zu tun haben?“

Die Konsequenz unterschiedlicher Erfahrungswelten

Die Leistungen in dieser Filiale sind unterdurchschnittlich, obwohl das Kundenpotential eher interessant scheint. Die Filialleiterin hat vor drei Monaten diese Filiale übernommen, nachdem sie vorher erfolgreich eine etwas kleinere Filiale derselben Bank geführt hat. Sie ist engagiert und mit hoher Motivation eingestiegen. Die Zahlen haben sich in dieser Zeit aber eher verschlechtert. Ihr altes Team führte sie mit einer offenen Kommunikation, die Mitarbeiter arbeiteten kooperativ im Entscheidungsprozess mit. Die Stimmung im Team war gut und die Leistungen deutlich überdurchschnittlich, man machte sogar privat einiges zusammen. Diesen erfolgreichen Stil importierte sie in ihr neues Filialteam.

Nach drei Monaten hatte sie einen emotionalen Punkt erreicht, der sie dazu trieb, autoritäre Entscheidungen zu treffen, jedem Mitarbeiter zu sagen, was er zu tun hat, „denn sonst passiert hier eh nix!“ Die Stimmung im Team ist nun schlecht, nach „Dienstschluss“ streben alle pünktlich auseinander.

Was ist geschehen?

Die Bankfiliale wurde die letzten 25 Jahre von einer Mitarbeiterin geleitet, die die Marktbereichsleiterin wie folgt charakterisierte: „Die Frau hatte den Ruf wie ein Feldwebel zu agieren! Alles über meinen Tisch! Hier passiert nichts, was i c h nicht genehmigt habe!“

Wer 25 Jahre durch eine solche Führungskraft „controlled“ wurde, hat es gelernt sein Gehirn beim Betreten des Arbeitsplatzes abzugeben, das Selbstwertgefühl morgens an der Garderobe wegzuschließen. Das ist für viele die einzige Strategie, um in solch einem Umfeld, in dem Fehler nicht verziehen werden, in dem Eigeninitiative bei Höchststrafe verboten ist, zu überleben.

Folgt nun eine Führungskraft, die kooperativ und offen, auf die Eigeninitiative und die Selbstmotivation der Mitarbeiter bauend, die Filiale leitet, nimmt die oben beschriebene Entwicklung ihren Lauf: Die Mitarbeiter haben ihr Gehirn und ihre Eigeninitiative immer noch deaktiviert. Die offene und den Menschen zugewandte neue Führungskraft beginnt zu verzweifeln.

Sie entscheidet: „Nur wenn ich klare Anweisungen gebe, passiert was, sonst nicht. Also gut, wenn ihr es so haben wollt, das kann ich auch.“

Die Lust am Elend …

Das Problem ist, dass die Mitarbeiter erst wieder lernen müssen, ihr Gehirn einzusetzen. Es ist nicht so, dass sie nicht denken können und keine Selbstmotivation mehr haben, sie haben nur gelernt, dass es an ihrem Arbeitsplatz nicht erwünscht ist. Die plötzliche Freiheit führt nicht zu Begeisterungsstürmen der Erleichterung – endlich haben wir wieder die Freiheit zu handeln – sondern zum Erleben einer starken Verunsicherung.

Für die Mitarbeiter beginnt ein Veränderungsprozess, der aus einem ausführenden Befehlsempfänger genau definierter Handlungen, einen mit Kompetenzen und Freiräumen ausgestatteten Entscheider machen will. Sie fühlen sich nicht befreit, sondern bedroht! Denn nun müssen sie selbst die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen – auch wenn ihre Entscheidungen negative Auswirkungen haben.

Die Folge ist eine kategorische Verneinung der Mitarbeiter, nicht aus Bequemlichkeit oder Trotzigkeit, sondern aus Angst. Reagiert nun die Führungskraft mit den alten Instrumenten, den autoritären Anweisungen, ist überraschenderweise die Stimmung eher entspannter. Die heile alte Welt funktioniert wieder.

… besiegt durch Geduld und Nähe

In einer solchen Situation gibt es keinen Königsweg, denn je nach Grad der Domestizierung kann bei den Mitarbeitern dem eigenverantwortlichen Handeln unterschiedlich wieder Raum gegeben werden. Als eine Möglichkeit, dem selbstständigen Denken und Entscheiden im Arbeitsalltag eines Teams Raum und Zeit zu eröffnen, hat sich der folgende Weg erwiesen:

Am Anfang der Entwicklung steht die Entscheidung der Filialleitung, die Mitarbeiter „eng“ zu führen, um sie so über die „Angstschwelle der Verunsicherung“ zu begleiten. Dementsprechend werden die Veränderungen der Arbeitsstrukturen „von oben“ bedacht und festgelegt. Im Weiteren strukturiert die Filialleitung den Arbeitsalltag so, dass sich Projekte ergeben, die jeweils von einem Mitarbeiter verantwortlich geleitet werden können.

Bei der Begleitung der Projektarbeit achtet die Filialleitung darauf, dass stets deutlich wird:

· Fehler dürfen gemacht werden.

· Selbstständige Entscheidungen im Rahmen der Kompetenzen sind erlaubt.

· Lösungsvorschläge, die auf den ersten Blick als ungewöhnlich erscheinen, sind erwünscht.

Es wird seitens der Filialleitung gewährleistet, dass keine Projekte „im Sande verlaufen“, sondern alle einen Schlusspunkt haben.

* Wenn das Projekt erfolgreich war, wird dieses gemeinsam gewürdigt – an dieser Stelle kann sich eine „Feierkultur“ entwickeln.

*Wenn das Projekt gescheitert ist, wird geklärt, welche positiven Lehren für die Zukunft „in den Trümmern liegen“ und ob eine Schadensbegrenzungsarbeit notwendig ist – an dieser Stelle zeigt sich, ob die Filialleitung nur redet oder auch mal „den Kopf für die Mitarbeiter hinhält“.

Grundsätzlich ist es zwingend notwendig mit dem Betreten des Veränderungsweges eine hierarchiefreie Feedbackkultur zu implementieren. So prägt nach und nach immer mehr ein „offenes Kommunikationsklima“ die arbeitsteilige Zusammenarbeit – und das über alle Hierarchiestufen der Filiale hinweg.

Eine Führungskraft, die mit einem strahlenden Lächeln, den Mitarbeitern alle Freiheiten gibt und sie in ihrem Arbeitsprozess alleine lässt – denn herausfordernde, realistische Ziele wirken ja positiv und motivierend – hat in domestizierten Teams den gleichen Effekt, wie die Aussage gegenüber einem unter Depression leidenden Menschen: „Nun seien Sie mal fröhlich.“

Die Frage

„ Was soll ich tun ? “ ist ein Hilferuf

— nicht weniger und nicht mehr!